Cover
Titel
Animals, Machines, and AI. On Human and Non-Human Emotions in Modern German Cultural History


Herausgeber
Quinn, Erika; Yanacek, Holly
Reihe
Interdisciplinary German Cultural Studies (31)
Erschienen
Berlin 2022: de Gruyter
Anzahl Seiten
VIII, 249 S.
Preis
€ 89,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martina Heßler, Institut für Geschichte, Technische Universität Darmstadt

Das Cover des Buches zeigt einen Roboterarm, der eine Katze hinter dem Ohr krault, was diese sichtlich genießt. Man imaginiert geradezu ihr Schnurren. In Kombination mit dem Titel „Animals, Machines, and AI“ signalisiert das Buch, dass es gegenwärtige Diskurse und Entwicklungen aufnimmt, so die Entwicklung emotionaler Roboter bzw. das affective computing, des Weiteren die Frage nach maschinellen und tierischen Emotionen sowie nach emotionalen Verhältnissen von Menschen, Maschinen – insbesondere AI – und Tieren. Damit ist einerseits das Themenfeld abgesteckt, in dem sich das Buch bewegt. Andererseits werden auch ein wenig falsche Erwartungen geweckt. Entwicklungen im Bereich Künstlicher Intelligenz spielen in den Beiträgen des Sammelbandes als gegenwärtiger Kontext eine Rolle, der die Frageperspektiven anleitet. Sie werden jedoch kaum als Objekt der Untersuchung einbezogen. In den Blick geraten vielmehr Automaten und Roboter in der Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. Es handelt sich mithin um Neulektüren im Kontext aktueller Entwicklungen. Auch der Maschinenbegriff wird in der Einleitung anhand literarischer Werke aufgespannt (beispielsweise von E.T.A. Hoffmann, Heinrich Heine, Gerhart Hauptmann), anhand der Malerei (etwa von Adolph von Menzel), von Philosophen wie Ernst Kapp oder Ernst Jünger bis zum Dadaismus.

Dass sich die einzelnen Beiträge allesamt mit Literatur, Film, Fotografie, Science Fiction und Kinderbüchern beschäftigen, ist aufgrund der disziplinären Herkunft der Autor:innen wenig überraschend, wenngleich der Band dezidiert interdisziplinär angelegt ist. Er versammelt Autor:innen aus den German Studies, den Gender Studies und der Geschichtswissenschaft. Das Interesse gilt Darstellungen von „affective relationships between humans and non-humans in German cultural history from the Enlightenment to the present“ (S. 3).

Der Sammelband positioniert sich im Schnittfeld von Emotionsgeschichte, Gender Studies, Animal Studies sowie neueren posthumanistischen Debatten und dem Interesse am Nicht-Humanen, das in jüngster Zeit Konjunktur hat. Letzteres spielt im Band eine zentrale Rolle, um Anthropomorphismen, anthropozentrische Vorstellungen und Menschenbilder zu hinterfragen. Entsprechend stellen Autor:innen wie Donna Haraway, Karen Barad, Rosi Braidotti und auch Jacques Derrida neben emotionsgeschichtlichen Ansätzen eine stete Referenz dar.

Die Einleitung der beiden Herausgeberinnen Erika Quinn und Holly Yanacek mit dem programmatischen Titel „Feeling beyond the Human“1 beginnt mit E.T.A. Hoffmanns Erzählung „Der Sandmann“ sowie mit Franz Kafkas fragmentarischem Text „In unserer Synagoge“. Aufgerufen werden damit Topoi, die im Buch einen roten Faden darstellen, so bei Hoffmann die zerstörerische Liebe des Protagonisten Nathanael zu einer Automate und damit das Gruseln und die Angst vor der Maschine, die auch bei Kafka eine Rolle spielen. Aber Kafkas Geschichte bringe zugleich, so die Autorinnen, Empathie als ein Verhalten gegenüber dem mysteriösen Tier in der Synagoge ins Spiel, des Weiteren das emotionale Nichtverstehen des Anderen sowie die Funktionen, die Emotionen gegenüber Nicht-Humanem für Menschen haben können. Damit sind wesentliche Themen des Bandes gleich zu Beginn anschaulich eingeführt. Außerdem unterstreichen Quinn und Yanacek hier ein weiteres übergreifendes Ziel, nämlich etablierte Annahmen zu Emotionen zu hinterfragen, beispielsweise den Unterschied zwischen „wirklichen“ und „simulierten“ Emotionen – eine Frage, die im Kontext der Künstlichen Intelligenz in neuem Licht erscheint.

Der Band betrachtet dabei insbesondere Zuschreibungen. Die Autor:innen nutzen Tiere und Maschinen als „heuristic lenses“ (S. 4), um menschliche Emotionen und die emotionalen Beziehungen zum Nicht-Humanen zu untersuchen. Damit gerät schließlich prominent die Frage nach Definitionen des Humanen in den Blick. Indem Quinn und Yanacek betonen, dass sie mit ihrem Sammelband zum „non-human turn“ beitragen möchten (S. 10), beanspruchen sie zugleich, eine Lücke in den Emotional Studies zu schließen, indem sie die emotionale Funktion und die emotionalen Beziehungen von Humanem und Nicht-Humanem betrachten. Dies ist zweifellos ein zukunftsträchtiges Forschungsfeld, wobei es gerade im Hinblick auf Technik, Roboter und Künstliche Intelligenz durchaus schon Forschungen gibt. Technikhistorische Literatur und viele Arbeiten der Science and Technology Studies (STS) werden im Band allerdings weitgehend ignoriert, was überrascht. Insgesamt erhalten die Beziehungen und Funktionen von „non-human animals“, wie es im Band in Anlehnung an die Animal Studies durchgängig heißt, aber ohnehin mehr Gewicht als Maschinen-Emotionen.

Das Buch ist in drei Abschnitte mit je drei Aufsätzen gegliedert: Der erste Teil befasst sich mit Emotionen und den Grenzziehungen zwischen Humanem und Nicht-Humanem. Der zweite Teil widmet sich emotionalen Funktionen von Nicht-Humanem, während der dritte Teil das empathische Verstehen zwischen Menschen und Nicht-Menschen ins Zentrum stellt.

Es ist kaum möglich, in einer Rezension alle Beiträge eines solchen Sammelbandes zu erwähnen, geschweige denn, ihnen gerecht zu werden. Zu betonen ist allerdings, dass der Band durchweg mit theoretisch inspirierten und inspirierenden Beiträgen besticht. Selten findet man Sammelbände, deren Aufsätze so durchgängig auf hohem Niveau geschrieben sind und denen man die Sorgfalt, mit der sie geschrieben und lektoriert wurden, deutlich anmerkt. Was die Beiträge gleichfalls auszeichnet, ist die Tatsache, dass sie neue Blicke auf etablierte Texte, Filme und Bilder bieten. Die Autor:innen formulieren ihre Fragen, indem sie von gegenwärtigen Entwicklungen und Debatten ausgehen, was aus Sicht der Herausgeber:innen und Autor:innen das „AI“ im Titel gerechtfertigt haben mag.

E.T.A. Hoffmann, der bereits in der Einleitung prominent vorkommt, ist auch in zwei Aufsätzen Thema. Im ersten Teil des Bandes analysiert Madalina Meirosu aus dem Blickwinkel der Affekttheorie die emotionalen Reaktionen auf den Türken in Hoffmanns Erzählung „Die Automate“. Meirosu thematisiert das Verschwimmen der Grenzen von Humanem und Nicht-Humanem. In einer interessanten Interpretation beschreibt sie, wie Automaten zur Kontrolle menschlicher Gefühle und Körper genutzt werden. Die Automate wird damit zu einer „influencing machine“ (S. 47). Dieser aus der Gegenwart gespeiste Blick zeigt sich auch im zweiten Teil des Bandes, indem mit der Frage nach emotionalen Funktionen von „non-human animals“ und Maschinen vor allem gezeigt wird, wie menschliche Bestimmungen und das, was als genuin menschlich gilt, verhandelt werden, das Humanum mithin stets neu interpretiert wird. Sarah L. Leonard zeichnet nach, welche emotionalen Funktionen „non-human animals“ in der frühen Fotografie hatten. Ausgehend von einem viel rezipierten Essay John Bergers fokussiert sie Porträts, auf denen sich die Dargestellten mit Hunden zeigten. Leonard interpretiert dies, über Berger hinausgehend, als das Ausstellen und Betonen, ja das Beweisen menschlicher Eigenschaften wie Fühlen und Zuneigung. Die Integration von Tieren habe mithin der Darstellung des „inner life“ (S. 100) der Porträtierten gedient. Erika Quinn fragt gestützt auf Thea von Harbous Roman „Metropolis“ ebenfalls nach der Unterscheidung des Humanen vom Nicht-Humanen, in diesem Fall von Maschinen. Quinn ringt diesem bereits häufig interpretierten Text aus einer emotionsgeschichtlichen Perspektive neue Aspekte ab, indem sie emotionale Styles und Genderaspekte hervorhebt.

Im dritten Teil des Bandes ist unter anderem erneut Hoffmanns „Automate“ das Thema. Claudia Müller-Greene betrachtet die Geschichte im Lichte aktueller Entwicklungen, einerseits der Magnetresonanztomografie, mit der das Gehirn „gelesen“ wird, andererseits der Simulation menschlicher Fähigkeiten, hier eines Musik machenden Automaten, der den Protagonisten Ferdinand tief berührt, was unmittelbar zu heutigen Debatten über die Simulationen menschlichen Handelns durch KI führt. In der Tat ist es erhellend, Hoffmann im Kontext gegenwärtiger Diskurse auf diese Weise neu zu lesen. Gleichwohl stellt sich, wie auch bei anderen Beiträgen des Bandes, die Frage nach den historischen Unterschieden. Der Posthumanismus, auf den im Band immer wieder rekurriert wird, versteht sich normativ; er plädiert für die Dezentrierung der Menschen und das Aufweichen der Grenzen zwischen Humanem und Nicht-Humanem. Der Band changiert meines Erachtens zwischen der Kritik am Anthropozentrismus, an Anthropomorphisierungen und der Referenz auf posthumanes Denken einerseits sowie der – letztlich offen gelassenen – Frage, was es im 21. Jahrhundert bedeutet, Mensch zu sein. Die kritische Perspektive, die sich ja auch bei E.T.A. Hoffmann findet, steht eher in Spannung zu posthumanistischen Tendenzen; eine interessante Spannung, die systematischer reflektiert und vor allem historisiert werden könnte.

Holly Yanacek beschließt den Band mit einem Artikel zur Kinderliteratur. Sie fragt, wie das emotionale Verhältnis zwischen Kindern (in der untersuchten Literatur vor allem weiße Jungen) und Robotern dargestellt wird. Anders als in Science Fiction, so betont sie, sind Roboter hier keine Bedrohung und nicht Objekt kulturkritischer Interpretationen, sondern Freunde. Yanacek schließt daraus, dass Kinder mit dieser Literatur dazu erzogen würden, nicht nur Menschen, sondern auch allen Formen des Nicht-Humanen mit Emotionen zu begegnen, sodass klassische Distinktionen menschlicher Emotionalität mit Emotionen der „Anderen“ verschwimmen würden. Man könnte allerdings einwenden, dass dies womöglich eine etwas unhistorische Interpretation ist, die, wie sämtliche Beiträge im Band, vom „non-human turn“ inspiriert ist. Zu fragen wäre, ob hier nicht vielmehr kindliche Wünsche und Phantasien nach einem zuverlässigen Freund jenseits der Erwachsenenwelt bedient werden.

Wie bereits betont, gelingen den Autor:innen in der Verbindung von Emotional Studies, Gender Studies und „non-human turn“ interessante neue Einsichten in bekannte Texte, Filme und Bilder. Gleichwohl hätte man sich gewünscht, dass der Band über diese weitgehend kanonischen Texte hinausgegangen wäre und beispielsweise auch sogenannte Trivialliteratur in den Blick genommen hätte. Und selbst wenn es völlig legitim ist, den Band auf Deutschland zu konzentrieren, so wären internationale Vergleiche sicher erhellend und teils auch ohne großen Aufwand möglich gewesen; beispielsweise hätte für die Kinderliteratur ein Blick nach Japan den Horizont erweitert. Schließlich vermisst man in einem interdisziplinären Band zu diesem Thema soziologische oder technikhistorische, ethische oder informatische Perspektiven. Dies hätte das Spektrum auch über die kanonischen Darstellungen in Literatur, Fotografie, Science Fiction und Malerei erweitert sowie zusätzlich das Verhältnis von Repräsentationen und Praktiken, Erfahrungen und Deutungen in der Lebenswelt einbezogen. Vielleicht wäre der Band dann weniger kohärent geworden. Gleichwohl verweist es auf das, was ansteht: erstens die systematische Verbindung von Animal Studies und Technikgeschichte/STS im Hinblick auf die „nicht-menschlichen Anderen“, zweitens die Erforschung dieser Geschichte über Diskurse und Repräsentationen hinaus.

Anmerkungen:
1 Als einziger Text des Bandes ist die Einleitung im Open Access verfügbar: https://doi.org/10.1515/9783110753677-001 (21.09.2022).